Wie war das in den letzten Jahren der DDR? Wo Entscheidungen politisch und stets willkürlich getroffen wurden, wo die grauen Häuser reihenweise verfielen und die Wirtschaft wie die Wissenschaft immer weiter den Anschluss verlor und jeder Widerstand konsequent verfolgt wurde? Viele hatten sich eingerichtet, hatten resigniert und ihre
persönliche Überlebensstrategie entwickelt. Vorsichtig waren wir geworden, überlegten gut, zu wem wir was sagten.
Freunde, Gleichgesinnte zu haben, war da ganz besonders wichtig. Oft haben wir die in der Kirchgemeinde gefunden. Der gemeinsame Nenner war die ganz andere Weltanschauung; Geist gegen die
Borniertheit. Was für imponierende Persönlichkeiten haben uns da in unserer Gemeinde geprägt und gezeigt, wie man auch unter diesen Umständen als Christ erkennbar, aufrecht leben kann.
Die alte Baracke und die notdürftig wiederhergestellten Räume in der Zionsruine, die passten gut in das ideologische Bild von Kirche in der DDR: Fast zerstört, schwer angeschlagen, Raum für die
schwindende Gruppe der ewig Gestrigen.
Und dann dieser Neubau! So modern, wie wir es bisher noch nie gesehen hatten. Unbekannte Materialien, Armaturen, Werkzeuge. Und wir durften mitbauen für die Zukunft unserer Gemeinde.
Die durch weitere großzügige Spenden ermöglichte fast komplette Inneneinrichtung überstieg dann endgültig unsere Vorstellungskraft. Es war eine Situation, wie sie der 126. Psalm beschreibt:
„Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden: Der HERR hat Großes an ihnen getan! Der HERR hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich.“
Darf man solche Bibelverse auf uns beziehen? Das ist anmaßend, aber es war eine Zeit maßloser Freude und Dankbarkeit. Es war ein Bild für die
unverdiente Liebe Gottes. Und so begann diese Kirche schon vor ihrer Einweihung zu predigen. Der Kirchraum mit dem Zeltdach zeigt, dass wir unterwegs sind, uns nicht hinter dicken Mauern
verschanzen, sondern mit den großen Fenstern den Blick hinaus in die Welt haben und von draußen gesehen werden.
Der schwedische Bauleiter Erik Granbom beeindrucke uns nicht nur durch sein fachliches Können, sondern auch durch seine gelebte Frömmigkeit. Eine Kirche bauen zu dürfen war ihm die Krönung seines
Berufslebens. Auf sein Betreiben hin entstand die Gemeindepartnerschaft zu Kullavik, Släp und Vallda, die bis heute für uns wichtig geblieben ist.
Dann kam der Tag des Umzugs, der 31.10.1982. In einem letzten Gottesdienst in der Baracke nahmen wir mit Superintendent Ziemer Abschied von diesem äußerlich so bescheidenen, aber geistlich
reichen Ort, der unserer Gemeinde 26 Jahre Heimat war. Entwidmet wird eine Kirche, die nicht mehr als solche genutzt werden soll. Das Altarkreuz, die Tauf- und Abendmahlsgeräte, Bibel und
Lektionar wurden zusammen mit den Paramenten an der Spitze eines langen Zuges zur neuen Zionskirche getragen. Vor deren Tür, unter dem Klang von Posaunen, übergab Erik Granbom den
Kirchenschlüssel an den schwedischen Bischof Bratgard, der ihn an Bischof Hempel, und dieser ihn an unseren Gemeindepfarrer Michael Kanig übergab.
Der Festgottesdienst zur Weihe war ein großartiger Moment in unserer Geschichte. Und das Feiern, zusammen mit unseren Nachbarn und Freunden, nahm kein Ende.
Der Festwoche folgte der Alltag. Aber was heißt hier Alltag? Jeder Tag im neuen Gemeindezentrum war eine Freude. Christenlehre in den neuen Räumen, Junge Gemeinde, die gar nicht mehr nach Hause
gehen wollte. Die kirchenmusikalischen Kreise und Kirchenvorstandssitzungen auf Polstermöbeln im Saal. Das schönste aber waren die Gottesdienste in unserer schwedischen Kirche. So festlich und
doch kommunikativ, so sonnendurchflutet am Morgen oder stimmungsvoll beleuchtet am Abend. Das musste auch dem Gemeindeleben neue Impulse geben. Taufen oder Trauungen in dieser schönen Kirche mit
der Möglichkeit, dann gleich in den Gemeinderäumen zu feiern, war vielen eine große Freude.
Die Anfragen nach Kirchenbesichtigungen rissen in den ersten Jahren nicht ab. Wie gern haben wir diesem Wunsch entsprochen. Dabei haben wir erstaunlicherweise nie Neid, sondern immer herzliche
Mitfreude erleben können.
Das große Geschenk hat uns in doppelter Hinsicht reich gemacht. Und wir wollten es nach besten Kräften im Sinne der schwedischen Geber für uns und viele andere, die bei uns zu Gast sind,
nutzen.
Wir haben erlebt, dass Gott uns wider jede menschliche Vernunft leiten und beschenken kann. Sieben Jahre später, in der friedlichen Revolution, wurde das dann erneut deutlich.
Nach diesen Erfahrungen sollten wir nie wieder kleingläubig, resigniert oder schicksalsergeben sein. Erinnern wir uns gegenseitig daran!
Martin Haufe
Gemeindeglied seit 1957
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