Wir leben heute in einer Situation, die uns alle berührt. Eine Situation, die komplex
und schwierig ist. Die Corona-Krise macht uns allen Angst, bedroht unsere Leben, fordert die gesamte Welt heraus.
Und ist es nicht so? Die Menschen haben immer schon versucht, Lebensgeschehnisse mit Hilfe von Schriften und Erfahrungen aus den Religionen zu deuten. Unsere Bibeltexte wurden von konkreten Menschen mit konkreten Gefühlen und Gedanken geschrieben, von Menschen, die versucht haben, das, was ist und geschieht, im Lichte Gottes, des lebendigen Christus, der Kraft des Heiligen Geist, zu verstehen.
Nehmen wir einmal die Geschichte, welche sich im Garten Gethsemane abspielt…Was ist in unserem Drama bis dahin passiert? Jesus und die Jünger haben das letzte Abendmahl miteinander geteilt. Es war gewöhnlich und gleichzeitig ungewöhnlich. Jesus sagte, dass er verraten werden wird und die Jünger waren sehr deutlich damit, dass sie Jesus wirklich nicht verraten werden. Warum sollten sie es denn auch tun?
Um sich dem Text und der Geschichte zu nähern, können wir unsere Fantasie und unser Einfühlungsvermögen, das wir alle besitzen, nutzen. Stellen wir uns einmal vor, dass wir dabei sind. Wir sind mittendrin im Geschehen und gehen gemeinsam mit den Jüngern und Jesus in den Garten Gethsemane. Es ist Abend und wir haben gerade das letzte Abendmahl mit Jesus gefeiert. Plötzlich passiert etwas. Jesus, unser liebster Freund beginnt zu trauern und bekommt Angst. Hier passiert etwas Neues und Ungewöhnliches. Die Situation und Atmosphäre verändern sich. Gerade er, der uns Jünger und so vielen anderen so viel Gutes gegeben hat. Er, der so viele Menschen geheilt und begleitet hat, der eine Alternative aufgezeigt hat, etwas anderes, etwas was die Welt nicht geben kann.
Und jetzt sagt Jesus zu uns: Wachet und betet, wachet und betet. Von unserem Text
wissen wir, dass die Jünger einschliefen und dass sie das immer wieder taten. Unser Text sagt uns doch nichts über ihre Gedanken und Gefühle. Als ich die Reflektion über diesen Text geschrieben
habe, habe ich überlegt, wie ich denn selbst reagiert hätte, was ich in der Situation an dem Abend gefühlt hätte.
Ich glaube, ich hätte mich machtlos und unsicher gefühlt. Natürlich hätte ich gemerkt, dass es etwas anders war, aber mir wäre es schwergefallen, die gesamte Situation aufzunehmen und wirklich zu verstehen. Einfach nur wach bleiben und beten hätten mir da nicht geholfen. Ich hätte etwas machen wollen, etwas Konkretes. Ich hätte lieber näher bei Jesus in seiner Angst sein und nicht mit Abstand sitzen wollen. Ich hätte ihn umarmen wollen, etwas, was in unserer Zeit von 2-Metern- Sicherheitsabstand-Halten so nicht möglich ist. Vielleicht wäre ich nur weggelaufen, weit weg. Ich hätte mich zurückgezogen, hätte gedacht, dass das alles einfach nur zu viel ist, zu viele Gefühle, zu herausfordernd, das geht zu weit, ich packe das nicht. Vielleicht wäre ich auch nur eingeschlafen.
Und du? Was denkst du? Was hättest du gemacht, gefühlt und gedacht?
Ich glaube, dass die Geschichte auch uns hier und jetzt inspirieren kann. Auch wir leben in einer Zeit, in welcher viele nicht wissen, wie sie mit der Wirklichkeit umgehen sollen. Die Wirklichkeit, welche sich mit der eigenen Angst, mit dem Verlust von einem lieben Freund, mit vielen Neuigkeiten und gleichzeitig mit vielen kreativen Hilfsinitiativen, mit neuen Ideen und einer wachsenden Einsicht über die Gemeinschaft aller Menschen füllt. Und ja, wir gehören zusammen, wir sind ein Leib. Das ist keine neue Botschaft, nichts neues, und doch wird uns das gerade jetzt noch einmal deutlicher. Es stimmt!
Was hilft uns eigentlich, die Wirklichkeit so zusehen, wie sie ist? Hier will ich von einer jungen jüdischen Frau erzählen, welche mich seit längerem berührt. Sie heißt Etty Hillezum. Genau wie Anne Frank schrieb Etty Hillezum Tagebücher im Zweiten Weltkrieg. Sie starb in Auschwitz im Alter von 29 Jahren. Ihre Art, in der Wirklichkeit zu leben, berührt mich. Wir ging sie mit schwierigen Zeiten um? Sie ging zurück zur Quelle, zurück zum Ursprung des Lebens, zurück zu dem Platz, wo alles begann. Sie meditierte und betete. Schritt für Schritt entdeckte sie Gott, eine lebendige Kraft und ein lebendiges Licht, in ihrem Inneren und in allem anderen. Sie machte die Entdeckungsreise trotz allem, was gerade um sie herum passierte, trotz des Bösen, trotz allem Leid. Man kann sagen, dass sie dem Bösen trotzte und auf das Gute baute. Sie begann von Neuem, so schreibt sie, wenn sie sich missmutig und machtlos fühlte. Immer wieder schreibt sie davon, dass sie Gottes Mitarbeiterin war, dass sie eine Fähigkeit in sich trug, die es ermöglichte, Gott zu helfen, seine Liebe in die Welt zu tragen. Das war ihr Weg zu leben und mit der Wirklichkeit umzugehen.
Und wir im Hier und Jetzt? Wir, die wir in einer schwierigen Zeit leben…
…lasst uns daran erinnern, dass wir Gottes Mitarbeiter sind und Gottes Licht in uns tragen. Gottes Licht, welches in uns und durch uns hindurch sichtbar, verdeutlicht und verkörpert werden will.
…lasst uns daran erinnern, dass Jesus uns in Allem voran gegangen ist, dass er selbst Einsamkeit und Verlassenheit durchlebt hat, dass er, der Auferstandene, alles gemeinsam mit uns durchlebt. Mit ihm teilen wir die Gemeinschaft und Einsamkeit.
…und lasst uns daran erinnern, dass wir nach kraftlosen Zeiten neu beginnen können, dass wir von einer grenzenlosen Liebe getragen werden, einer Liebe, die unseren Verstand übersteigt.
Amen.
Silvia Kramer - Studentin der Theologie, Bistum Uppsala (Schweden)
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