Zugegeben, zunächst war ich etwas irritiert von der Wortwahl der Jahreslosung 2019. Frieden und jagen, wie geht das zusammen? Ich bat unseren Pfarrer Herrn Dr. Rabe um Übersetzungshilfe. Im Hebräischen heißt es: Bakasch-schalom-radak.
Für „bakasch“ schlägt das Wörterbuch forschen - spüren - suchen - fordern vor, für radak hinter jemandem herlaufen - folgen - verfolgen - nachsetzen - nachjagen - trachten nach. Die Übersetzung des Wörtchens „Schalom“ meinen wir zu kennen. Und doch finde ich einen Verweis darauf, dass Schalom im Hebräischen weit mehr als die Abwesenheit von Streit und Krieg bedeutet. Es meint eine tiefe Sehnsucht nach einer heilen, unversehrten Welt, in der keine Gefahr mehr droht. „Schalom“ ist die unverbrüchliche Hoffnung auf ein gerechtes und alle Feindschaft überwindendes Miteinander der ganzen Schöpfung. Somit sollen wir mit diesem Psalm nachdrücklich aufgefordert werden, für diese Art von tiefen Frieden zu sorgen, ja, darum zu kämpfen.
In unserem Land ist äußerer Frieden zum Selbstverständnis geworden, denn er herrscht seit über 70 Jahren. Gleichwohl war er nie so bedroht wie jetzt. Die inneren Risse in der Gesellschaft sind ebenso wie weltweite Machtgier und Selbstsucht täglich zu spüren. Mir macht das Angst. Und obwohl ich ein positiv denkender Mensch bin, stimmt mich die Entwicklung verzagt. Zu oft bleibt heute die Nächstenliebe auf der Strecke. Woran liegt das? Im Alten Testament steht: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Die Bibel koppelt die Nächstenliebe an die Selbstliebe. Nur wenn ich mich selbst annehme, kann ich auch auf meine Nächsten zugehen. Dies setzt voraus, dass ich mit mir im Frieden bin. Dieses „Frieden schließen mit sich selbst“ lehre ich fast regelmäßig meinen psychotherapeutischen Patienten. Manchmal denke ich, dass dies jeder von uns täglich aufs Neue und ganz bewusst tun sollte. Es wäre eine Übung gegen die Unzufriedenheit, in der das Wort Unfrieden steckt. Innerer Frieden ist meines Erachtens die absolute Voraussetzung für Frieden mit meinen Familienangehörigen, Nachbarn, Arbeitskollegen, Mitmenschen, aber auch mit
Andersdenkenden, anders Aussehenden oder politisch anders Gesinnten. Letztlich wird nur mit Toleranz und Respekt Frieden gelingen. Seien wir uns dessen bewusst, nicht nur im Jahr 2019.
Ines Richter-Kuhn
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